Gasthof Schnütgen – oder der Diekhof – in Kirchveischede

Willkommen im Gasthof Schnütgen, Kirchveischede. Schön, dass Sie uns besuchen, wir werden alles tun, dass Sie zufrieden wieder gehen, uns weiter empfehlen – und selbst wiederkommen. Warum? Um nicht nur unsere Gastfreundschaft zu erleben. Unser Ort, dieses Haus hat außer langer Tradition und Gastlichkeit vieles mehr zu bieten, viel Wissenswertes und Faszinierendes, das sich auf den ersten Blick nicht erschließen lässt, erst recht, wenn man noch nie hier war. Deshalb gestatten Sie uns einen kurzen Ausflug in unsere Historie, sowohl in die des alten Fachwerkdorfes Kirchveischede als auch in die Jahrhunderte alte Tradition des alten „Diekhof“, der Gastwirtschaft Schnütgen. Wir laden Sie ein, auch unsere schöne Umgebung zu erkunden; wir sind Ihnen mit Tipps gern behilflich.

Kirchveischede – ein Sauerländer Kirchdorf

Kirchveischede ist ein uralter Ort, und bis in die beginnende Neuzeit hieß er, wie der gleichnamige Bach, schlicht „Veischede“, vorher, bis ca. um 1300, nur „Veische“ oder „Viesche“. Der Zusatz – Kirch – bürgerte sich im 16. / 17. Jahrhundert ein als Abgrenzung zur viel jüngeren Ortschaft Oberveischede, die damals über noch keine Kirche verfügte.

Veische(de) war also Kirchort, und das hieß etwas: Im frühen Mittelalter hatte man bei weitem nicht in jedem Dorf eine Kirche. So gehörten zu Kirchspiel und Pfarrei Veische ursprünglich auch die umliegenden kirchenlosen Dörfer Bilstein, Benolpe, Welschen- Ennest und Rahrbach. (Das bedeutete z. B. für die Rahrbacher jeden Sonntag, und Kirchgang war damals Pflicht, einen Fußmarsch von stolzen 15 bis 16 Kilometern). Unsere Kirche wurde um 1220 gebaut und ist ein bauhistorisches Schmuckstück. Davor hat aber schon lange ein Vorgängerbau, wahrscheinlich aus Fachwerk, existiert; urkundlich erwähnt wird die Kirche erstmalig im Jahr 1147.

Veischede (oder im örtlichen Platt „Voiske“) wird urkundlich zuerst im Jahr 1019 in einer Urkundenabschrift der Reichsabtei Deutz bei Köln erwähnt, ist aber sicher weit älter. Nach den Erkenntnissen der neueren Namensforschung (Prof. Dr. J. Udolph, Uni Leipzig) geht man davon aus, dass der Name (und damit natürlich der Ort) spätestens gegen 200 vor Christus entstanden ist, und vieles lässt vermuten, dass er sogar noch um gut tausend Jahre älter ist. Dafür sprechen auch die beiden uralten Wallburgen (Huengraben, Jäckelchen) in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ort. Wir im Dorf jedenfalls sind sehr gespannt auf den Fortgang der Nachforschungen.

Auch die Höfe bzw. Siedlungsplätze im Ortskern, im hier so genannten „Mitteldorf“, sind uralt, zu ihrer Geschichte ist gerade in letzter Zeit vieles in Erfahrung gebracht worden, noch mehr wartet darauf, wieder entdeckt zu werden.

Nach fast fünf Jahrhunderten kurkölnischer Herrschaft, aus dieser Zeit resultiert die tiefe Bindung zur katholischen Kirche, aber auch die lebhafte Karneval- Tradition im Sauerland, wurde Kirchveischede im Jahr 1816 preußisch, seit 1946 gehört es zu Nordrhein- Westfalen.

Geschichte des Diekhofs

Bis zum Dreißigjährigen Krieg befand sich an der Stelle, an der heute die Höfe Hanses, Bus und Diekhof stehen, der uralte Haupthof (Zehnthof, curtis) Kirchveischedes, der hoch wahrscheinlich auf eine altfränkische Gründung nach der Eroberung Südwestfalens durch die Franken zurückzuführen ist. Dieser Hof fiel im Dreißigjährigen Krieg wüst und blieb es bis ins Jahr 1695, als er per landesherrlicher Verfügung des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln aufgeteilt wurde und die genannten drei Höfe entstanden.

Am 19. Juni 1784 brannte in einer verheerenden Feuerkatastrophe innerhalb kürzester Zeit fast der gesamte Ort ab, auch der Diekhof wurde komplett zerstört. Das war ein harter Schlag für die Familie, da der Hof nach den vorliegenden Unterlagen nicht versichert war. Dennoch wurde er noch im gleichen Jahr, laut Hausinschrift durch Zimmermeister Anton Dobener aus Würdinghausen, wie übrigens auch der Nachbarhof Hanses, wieder errichtet. Das setzte geordnete finanzielle Verhältnisse voraus; ein Neubau kostete viel Geld, das vorhanden sein musste, denn Kredite in unserem heutigen Sinn gab es damals nicht.

Seine heutige, für das Sauerland eher ungewöhnliche Gestalt bekam der Diekhof durch den zweigiebeligen, etwa 6 Meter tiefen Vorbau aus dem Jahr 1928; seine ursprüngliche Giebelfront war, wie alle Höfe in Kirchveischede, die eines typischen westfälischen Vierständer- Hallenhauses mit Satteldach.

Der Name „Diekhof“

Der Name Diekhof leitet sich ab von dem früher an dieser Stelle gelegenen Flachsteich des alten Haupthofes, einer so genannten „Röthe“, auch „Röste“ genannt (s. auch Straßenname). In solche Teiche wurde der frisch geerntete Flachs eingelegt, damit das Gewebe zwischen den begehrten Flachsfasern wegfaulte bzw. verrottete (und damit hätten diese Teiche also eigentlich „Rotteteiche“ heißen müssen). Das übrig bleibende, wertvolle Fasergut wurde dann zu unserem bekannten Leinentuch oder Linnen weiterverarbeitet.

Familie Schnütgen

Auch wenn die Eigentümerfamilie Schnütgen heißt, der eigentliche Name ist der des Hofes, nämlich „Diekhof“ bzw. im heutigen Platt und im dörflichen Gebrauch „Diekhowwe“. (Man sagt hier im Dorf nicht, dass man ins Gasthaus Schnütgen geht, man geht zu „Diekhowwes Theo“.) Das hat seinen Grund in der uralten südwestfälischen Namensgebung – bäuerliche Hofeigentümer bzw. ihre Familien wurden grundsätzlich nach dem Hof benannt, auf dem sie saßen; so blieb der Name auch bei weiblicher Erbfolge, was nicht selten der Fall war, in der Familie. Man hieß dann „Schnütgen, gt. (genannt) Diekhof“, was gleichzeitig ein Zeichen alten bäuerlichen Erbstandes war. Im alltäglichen Wirtschafts- und Rechtsverkehr, z. B. bei Erstellung von Urkunden, bei Abschluss von Verträgen etc, war ausschließlich der Hofname maßgeblich. Sicher ist, dass der Diekhof seit seiner Gründung im Jahr 1695 ununterbrochen im Familienbesitz ist. Auch in Zukunft wird das so bleiben – halten doch drei lebhafte Jungen der nächsten Generation Katja und Theo Schnütgen und ihre Großeltern kräftig auf Trab.

Die Gaststätte

Ursprünglich war der Hof ein reiner Waldbauernhof mit Milchvieh-Haltung (noch heute gehören gut 30 Hektar Land zum Hof).  Der gelernte Bäcker August Schnütgen, der Großvater des heutigen Eigentümers führte die seit ca. 1900 bestehende Bäckerei weiter. Neben der Landwirtschaft bestand ein Kohlen-, Lebensmittel- und Kolonialwarenhandel, in dieser Zeit wurde auch der Gaststättenbetrieb aufgenommen. Der Gasthof entwickelte sich rasch zum Dorfmittelpunkt, auf Grund der zentralen Lage wurde vor allem nach dem Kirchgang, nach so gut wie jeder Beerdigung, aber auch alltäglich hier eingekehrt, schon um die letzten Neuigkeiten aus dem Dorf zu hören.

In den 1950-er Jahren wurde der Bäckereibetrieb eingestellt, auch der Lebensmittelhandel trat immer mehr in den Hintergrund und wurde vor einigen Jahren vollständig aufgegeben; der wirtschaftliche Schwerpunkt lag im typischen Gaststättenbetrieb mit Bierausschank. 1965 wurde an der östlichen Traufseite die bestehende Bundeskegelbahn angebaut.

Theo Schnütgen junior, der heutige Inhaber, begann 1984 nach seinem Schulabschluss eine Lehre als Koch in einem benachbarten Restaurantbetrieb. Nach Abschluss der Lehre sammelte er mehrere Jahre Erfahrung in seinem Beruf, vervollkommnete sein Wissen um Qualität in der Küche, vor allem in der professionellen Führung eines Restaurant- und Hotelbetriebes, in renommierten Häusern im Ausland mit Schwerpunkt in der Schweiz; er vergaß darüber aber nie seine westfälischen Wurzeln. So erstreckt sich das Speisenangebot heute in einem Bogen von deftiger und schmackhafter, typisch westfälischer Kost bis hin zur anspruchsvollen internationalen Küche.

Nach seiner Rückkehr übernahm er den Betrieb und baute das Geschäft zusammen mit seiner Frau Katja, geborene Friedrich, zu einem modernen Restaurationsbetrieb um. Zunächst wurde in eine professionelle Küche und die Einrichtung und Ausstattung der Speiseräume investiert; im zweiten Schritt wurde auch die alte Gaststätte komplett überplant, grundlegend renoviert und modernisiert, zuletzt das Speiselokal aufwändig und, wie wir finden, stilvoll um den so genannten „alten Saal“ im Obergeschoss erweitert. Und ganz nebenbei kamen in diesen Jahren auch noch die drei Söhne zur Welt, zur Freude auch der Senioren Helene und Theo, die nach wie vor aktiv in den Betrieb eingebunden sind.

So präsentiert sich der Gasthof heute als modernes, professionell betriebenes Speiserestaurant mit exzellenter Küche, gleichzeitig ermöglicht die gelungene räumliche Trennung zur großen Erleichterung der Dorfbevölkerung den Spagat, auch den ursprünglichen Gaststättenbetrieb aufrecht zu erhalten. So behielt der Ort seine gewohnte Informationsbörse und Debattierstätte, bei Ausschank von frisch gezapftem Krombacher Pils.

Seite 1, Schadensbericht 1784 (Übersetzung ins Neuhochdeutsche)

Actum Kirchveischede den 21ten Junius 1784 praesente electori D. judice Freusberg (im Beisein (des) Kurfürsten Richters Freusberg)

Nachdem den 19ten laufenden Monats in dem Dorf Kirchveischede durch eine unvorgesehene Feuersbrunst bei trockenem heftigen Winde in wenigen Minuten 24 Häuser und Gebäude aller angewendeten möglichen Gegenwehr vergebens eingeäschert worden, hatt kurfürstl. Herr Richter mit den vereideten Werksverständigen Krächter und (Eigenname, unleserlich) hierüber die Besichtigung eingenommen, und ist dieser Brand der eingeäscherten Häuser und Gebäuden durch uns für total erkannt worden.

Die hiebei vermög catastri der brand-assecuration–societät einverleibte abgebrannte Häuser und Gebäude sind folgende in taxato:

Seite 2, Schadenschätzung oder Taxation (lat. Taxare = schätzen)

Dorf Kirchveischede

Nr.    Zeichen                               taxa                         summa

5. a) Schmelter scheüer                35                               35

6. Mertens wohnhaus                   20

a) Speicher                                    80

 b) Pferdstall                                 40                               325

7. Busch wohnhaus                       50                                50

8. Hanses wohnhaus                    340

 a) backhaus                                 25                             365

9. Asman wohnhaus                     270

 a) schweinstall                             10                             280

10.  Diekhof backhaus             50                       50

13.  Gercke wohnhaus                   305                             305

14.  Klagges wohnhaus                  280                             280

16.  Lambo wohnhaus                    150                             150

17.  Kleins wohnhaus                     190

 a) backhaus                                 40                             230

18.  Schauerte wohnhaus                10

 a) backhaus                                 25                               35

19.  Köß wohnhaus                        95

 a) backhaus                                 15                             110

20.  Eppe wohnhaus                     250

 a) scheüer                                    15                             265

     summa brandschadens                                           2.480

       in fidem protocolli

         W. Höyink, Gerichtsschreiber

 

Übertragung ins Neuhochdeutsche

Kurfürstliche Richter und Scheffen Ambts Bilstein beurkunden hierdurch, dass die Brandbeschädigten zu Kirchveischede urkuntlich Gerke – Klagges – Assmann – Hanses – Diekhof – Busch – Mertens – Lambo – Kleins – Schauerte – Köß – Eppe und Schmelter nicht nur gesinnet und gemüßiget ihre unterm 19ten vorigen Monats abgebrannte Wohnhäuser und Gebäude wieder aufzubauen sondern auch würklich diesen baw zu herzustellen in begriffe sint. Gegeben bilstein den 14. julius 1784

Als Attestum

W. A. Höyinck, (Kürzel) Gerichtsschreiber

subscripiens (unterschreibend)

Eines der Atteste, die damals den Brandgeschädigten jeweils nach Baufortschritt ausgestellt wurden, und zwar zur Vorlage bei der Feuerversicherung; die Entschädigungen wurden nach Baufortschritt in Raten ausgezahlt.

Nur falls Sie sich über die kurze Frist vom Brand (19. Juni) bis zum Attest (14. Juli) wundern: Damals galt ein Haus mit Erstellung des Kerngerüstes (Fachwerk und Dachgerüst) als „errichtet“. Alle weiteren Arbeiten wie Ausfachung, Dacheindeckung etc. wurden grundsätzlich in Eigenleistung erbracht, galten damit als Nebengewerke. Aus diesem Grund wird noch heute das so genannte „Richtfest“ gefeiert. Der Begriff leitet sich ab vom Errichten eben dieses Gerüstes, das vorgefertigt (abgebunden) und dann gebindeweise gestellt (aufgerichtet) wurde, im norddeutschen / nordwestfälischen „Husböring“ oder „Hausheben“ genannt. Das erklärt auch die erstaunlich kurzen angegebenen Bauzeiten. Der tatsächliche Ausbau hat auch damals wesentlich länger gedauert.

Dazu kam, dass die hier bezeugte Eile bei der Wieder- Errichtung der abgebrannten Häuser pure Lebensnotwenigkeit war, denn der nächste Winter stand vor der Tür, und Ausweichmöglichkeiten für die Überwinterung hatte man nicht. Es galt also, noch vor Wintereinbruch ein Dach für Mensch und Vieh zu schaffen, wollte man nicht erfrieren. Und die Gefahr bestand: Nach alten Wetteraufzeichnungen erlebte ganz Europa gerade in den Wintern 1783/84 und 1784/85 Katastrophenwinter mit monatelangen, starken Dauerfrösten und Tiefschnee bis hin in den westlichen Mittelmeerraum. Man hatte es nicht leicht damals, und man darf als sicher annehmen, dass die Menschen aus dieser „guten alten Zeit“ mit Freuden mit uns getauscht hätten, wenn sie die Gelegenheit gehabt hätten: Rechtssicherheit, Frieden, Häuser mit Bad, Toilette und Zentralheizung, optimale medizinische Versorgung, Bildung – und eben gepflegte Gastlichkeit. Bei jedem Wetter.

Besonderer Dank gilt Manfred Nolting für die aufwändige Recherche rund um Kirchveischede und unseren “Diekhof”, sowie der Verfassung dieser Chronik.

Kirchveischede, den 25.3.2010

Kontakt: manfred.nolting@googlemail.com